Ich sitze vor meiner Unterkunft und blicke auf das Meer. Das erste Mal habe ich von Raja Ampat auf einer Tauchsafari in Ägypten gehört und seitdem hat mich die Idee nicht mehr losgelassen, dort unbedingt Tauchen zu wollen. Einer der Orte mit der höchsten Biodiversität unter Wasser weltweit. So viel Fisch, dass es einem die Sicht versperrt und eine Garantie für Mantabegegnungen, so hieß es von allen Taucher*innen, wenn die Sprache auf die Inselgruppe in Indonesien fiel. Meine damaligen Recherchen bei den bekannten Tauchreiseanbietern ergaben, dass der Traum so preisintensiv ist, dass er auch schnell in weite Ferne rückte. Ich musste erst Sandra kennenlernen, die mich vom Gegenteil überzeugt hat.
Bereits Ende 2018 wollte ich sie begleiten zu meinem taucherischen Sehnsuchtsziel, aber dann war in meinem Privatleben so viel los, dass an einen Tauchurlaub nicht zu denken war und ich Weihnachten stattdessen nach Andalusien flüchtete. Dann kam die Pandemie und alle blieben zu Hause, einschließlich mir. Als Sandra mich das nächste Mal fragte, ob ich sie und Nico begleiten wolle, musste ich nicht lange überlegen.
Raja Ampat muss man sich verdienen. Zumindest in Hinblick auf die Anreise. Berlin-Istanbul-Jakarta-Sorong-Fähre nach Wasai-Speedboot zum Homestay- unsere Stationen im Schnelldurchlauf. Hartgesottene reisen in einem Rutsch durch, wir gönnen uns eine Nacht und einen halben Tag in Jakarta, um zu akklimatisieren und ein wenig zu schlafen.
Nachdem wir in Wasai die Fähre verlassen und uns Peter zum Speedboot navigiert hat, steigt meine Vorfreude. Es ist früher Nachmittag, an uns ziehen eine kleine Auswahl der insgesamt 1800 Inseln Raja Ampats vorbei. Übersetzt bedeutet der Name des Insel-Archipels “Reich der vier Könige” und steht sinnbildlich für die vier Hauptinseln Misool, Salawati, Batanta und Waigo. Insgesamt sind nur 35 Inseln bewohnt. Fast die gesamte Bevölkerung (ca. 60.400 Einwohner) lebt am Meer, mit wenigen Ausnahmen, wie z. B. auf Wasai, auf der auch das Inselinnere besiedelt ist.
Auf dem Weg verflüchtigen sich allmählich die letzten Wolken und das facettenreiche Blau des indopazifischen Ozeans umgibt leuchtend unser Boot. Mein Herz macht Purzelbäume bei dem Gedanken an das Unterwasserleben, das wir in den nächsten 14 Tagen erkunden werden. Das gesamte Gebiet gilt als zehnmal artenreicher als das Great Barrier Reef.
Am Steg werden wir von Monique empfangen. Sie und ihr Mann Eles leiten das Homestay. Unsere Hütten sind mit dem nötigsten ausgestattet. Einem Bett mit Moskitonetz, einem kleinen Tisch mit Stuhl und einem Bad, das aus einer Toilette und einem Bottich mit Süßwasser und einer Schöpfkelle zum Abduschen besteht. So wenig luxuriös unsere Unterkunft erscheint, so paradiesisch ist die Lage. Ein langer Steg führt ins offene Meer und der Gemeinschaftsraum besteht aus einer großzügigen Plattform auf Stelzen ein paar Meter über dem Meer.
Die mitgebrachten Hängematten werden befestigt und unsere Snacks im Kühlschrank verstaut. Letzteres ist unabdingbar, wenn man ungebetene Gäste auf vier oder mehr Beinen verzichten möchte.
Am nächsten Tag geht es das erste Mal ins Wasser. Check-Dive in Sawandarek. Die Unterwasserwelt verschlägt mich augenblicklich in ihren Bann, so sehr, dass ich erst nach der Hälfte des Tauchganges merke, dass mein Unterwassergehäuse geflutet ist. Im Kopf gehe ich die verschiedenen Optionen durch und schwanke zwischen Ärger und Gelassenheit. Die Entscheidung fällt darauf, der Situation mit Gelassenheit zu begegnen. Auch wenn vollkommen klar ist, dass die Kamera nicht mehr zu retten sein wird. Zu sehr freue ich mich an diesem fantastischen Ort zu sein. 10 Minuten später begegnen wir der größten Schildkröte, der ich jemals unter Wasser begegnen bin. Da bleibt wenig Raum für schlechte Gedanken. Ich tauche mit einem Lächeln auf.
Mioskon, der Tauchplatz, den wir nach unserer Oberflächenpause ansteuern, ist nicht minder imposant. Ich lerne eine neue Hai-Spezies kennen. Den Wobbegong, auf Deutsch unter dem Namen Teppichhai bekannt. Die Haiart gehört der Familie der Ammenhai an und wird uns bei so gut wie jedem zweiten Tauchgang während unseres Aufenthaltes begegnen. Eine andere Taucherin leiht mir, als sie von meiner Kamera hört, ihre GoPro. Ich bedanke mich an die 24 Mal bei ihr. Den Nachmittag verbringe ich mit lesen, Nachrichten verschicken an die Daheimgebliebenen, die ich trotz oder aufgrund der Aussicht auf den indopazifischen Ozean vermisse.
Am Abend erfahren wir, dass es am nächsten Tag zu den Mantas geht. Im Umkreis unseres Homestays befinden sich zwei Tauchspots mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auf Mantabegegnungen. Bei Manta Sandy handelt es sich um eine Putzerstation. Der Tauchgang ist auch für Anfänger geeignet, da man auf einer Tiefe von max. 16 m das Treiben der Rochen beobachten kann.
Bei Manta Ridge geht es rauer zu. Der Tauchplatz liegt zwischen Mansuar Island und Arborek. Wir springen nah am Riff ins Wasser, an der Oberfläche ist die starke Strömung bereits erkennbar. Nachdem wir unter Wasser die Spitze des Riffs passieren, wird mir der Einsatzzweck eines Riffhakens bewusst. Eine solche Strömung ist mir neu. Unsere Guides Eles und Peter sind uns behilflich, eine geeignete Stelle für unsere Haken zu finden. Bereits an der Oberfläche haben Sie uns die Spielregeln für den Tauchplatz erläutert. Befindet sich bereits eine Tauchgruppe am Riff, haben die die besten Plätze weit vorne bei den Mantas. Die nächste Gruppe rückt auf, sobald die erste Gruppe das Riff verlässt. Für mich fühlt es sich gerade absurd an, auf die Idee zu kommen, meinen Riffhaken jemals wieder zu lösen.
Viel zu sehr bin ich damit beschäftigt, den Hydroiden auszuweichen, die meine Hände vernesseln und trotz heftiger Strömung meine Tarierung zu halten.
Und dann kommen die Mantas und alles ist ein wenig egal. Die Tiere kommen so nah an uns ran, dass ich den Kopf einziehen muss, um nicht von ihnen gestreift zu werden. Anmutig tanzen sie in der Strömung. Bereits 2018 hatte ich auf den Azoren das Glück Mobulas sehr nahezukommen, aber das, was hier gerade passiert, toppt es um Längen. Sechs bis sieben Mantas umkreisen uns, bis es Zeit wird aufzutauchen. Wir tauchen in den nächsten Tagen noch zwei weitere Male an dem Riff. Beim zweiten Mal sind an die 15 Rochen unter Wasser. Ich verstehe Sandra, dass es gerade der Tauchplatz ist, der sie seit mehreren Jahren immer wieder nach Raja Ampat reisen lässt.
Die Oberflächenpause verbringen wir mit Tee, frittierten Bananen und herumalbern auf Arborek. Einer kleinen Insel mit diversen Shops, um Snacks zu kaufen, Homestays und etwas mehr Trubel.
West Mansuar erscheint beim Abtauchen zunächst als trostlos. Aber der Schein trügt. Die Spitze des strömungsreichen Riffs ist dicht bewachsen mit bunten Korallen und Schwärme aus Füsilieren und Barrakudas ziehen ihre Runden. Ob wäre das nicht genug Schönheit für einen Tauchtag, begleiten unser Boot auf dem Rückweg eine Gruppe von Delfinen.
Die Tauchplätze in Raja Ampat, an denen wir in den nächsten Tagen tauchen, sind ausnahmslos besonders und eindrucksvoll. Ein paar stechen für mich dennoch hervor.
Unser Early Morning Dive am Cape Kri aufgrund des Artenreichtums. Der Meeresbiologe Gerald R. Allen zählte einst 374 verschiedene Spezies während eines Tauchgangs. Die Begegnung mit einem riesigen Zackenbarsch am Chicken Reef, den wir zunächst nicht bemerkten, wegen des Fischschwarms um ihn herum. Cape Mansuar mit seinen vielen Schnecken – ein Paradies für Makrofans. Lau Lau, wegen der Pilotwale auf dem Rückweg und natürlich Blue Magic, auch wenn ich die vorbei schwimmenden Haie immer erst in letzter Sekunde bemerkt habe.
Wir wären nicht in Raja Ampat gewesen, ohne einen Ausflug nach Piaynemo. Die über Treppen erreichbare Aussichtsplattform bietet einen fantastischen Blick über die Sternlagune. Wir verbinden unseren Tagesausflug mit zwei Tauchgängen in Melissas Garden und Malesi.
Das erste Mal wieder Schuhe nach zwei Wochen tragen, fühlt sich ungewohnt und fremd an. Wir verabschieden uns voller Dankbarkeit von Monique, Eles, Peter und den anderen wunderbaren Menschen. Über Sorong und Jakarta geht es zurück in den Berliner Winter.